Die Puppe – Aspekte zu Einsatz und Wirkweise

Puppen- und Menschentheater

Oberflächlich betrachtet ist Puppentheater verkleinertes Menschentheater. Diese falsche Einschätzung hat historischen Ursprung. Da früher das Theater den oberen Schichten vorbehalten war, fungierte das Puppentheater als Ersatz für das „niedere Volk“. Da der Begriff „Puppe“ darüber hinaus Nähe zu Spielzeug hat, wurde und wird es häufig als „Kindertheater“ klassifiziert. Die Bestrebungen einer Namensänderung - weg vom Begriff „Puppe“ und hin zu „Figur“ - zeigen die Versuche, diesem Stereotyp zu begegnen.
Worin liegt nun die Stärke der Puppe gegenüber dem Menschen ? Als seine Nachahmung bleiben allein die Vorteile, dass sie größer oder kleiner als ihr Vorbild sein und andere Proportionen aufweisen kann. Eigenständig wird die Puppe vor allem in zwei Aspekten. Erstens ist sie antigrav, sie widersetzt sich der Schwerkraft. Heinrich v. Kleist begeistert sich in seinem Aufsatz „Über das Marionettentheater“ nicht nur darüber, dass Puppen sich niemals zieren, sondern vor allem „Bewegungen, die ihnen zum Gebote stehen, in einer Ruhe, Leichtigkeit und Anmut vollziehen können, die jedes denkende Gemüt in Erstaunen versetzt …(sie) nichts von der Trägheit wissen, weil die Kraft, die sie in die Lüfte hebt, größer ist als jene, die sie an die Erde fesselt … nur ein Gott könne sich auf diesem Felde mit ihr messen.“ So wünschte sich der Tänzer Fred Astaire von seinem Gott diese „Schwerelosigkeit“, die ihm so fehlte.
Zweitens „arbeitet“ die Puppe auf einem anderen Abstraktionsgrad als der Mensch. Sie ist Materie und Reduktion auf das Wesentliche, sowohl in ihren statischen Elementen (ihrem Aussehen) wie auch in ihren dynamischen (in dem, was sie tut). Neben der realen Metamorphose, also der wirklichen Verwandlung, ermöglicht die Puppe eine Metaphorik, da sie nicht das ist, was sie vorgibt (z.B. Objekte, die sich wie Menschen verhalten). Hierbei liegt die Metapher im Spannungsfeld zwischen Kreativität und Konvention. Sie folgt den Regeln der Analogie, bleibt aber doppeldeutig und fordert den Betrachter zur Eigeninterpretation auf. So ist die Entwicklung von der realen Puppe zu immer abstrakteren Formen auch in der Benennung der Theaterform von Puppen- zum Figuren- und zum Objekttheater nur logisch.
Der Mensch als Schauspieler bleibt mehr Individuum als die Puppe, die weniger persönlich und mehr als zu verallgemeinerndes Prinzip wahrgenommen wird. So darf sie schärfer formulieren als ein Mensch, was vor allem bei Interaktionen Mensch-Puppe (z.B. beim Bauchredner mit einer Puppe) angewandt wird. „Die spezifische Abbildungspotenz des Puppenspiels quillt also aus einer grundsätzlichen Dualität, die die Nichtidentität von Darsteller und Figur unmittelbar hervorhebt und aus deren Beziehung ein gesonderter Gegenstand extrahiert werden kann.“ (K. Kavrakova-Lorenz)
Die Darstellung von Tieren als verkleidete Menschen und der zwangsläufig damit verbundene Abstraktionsgradwechsel, der beim Schauspiel mit Menschen oft etwas lächerlich wirkt, tritt beim Puppentheater nicht auf.
Erfolgreiches Puppentheater kann mit einer einfachen Konstruktion oder mit einer komplizierten möglich gemacht werden. Die Bewertung „Je komplizierter, desto qualifizierter“ ist jedoch nicht angebracht.
Interaktionen von Menschen und Puppen – auch auf der Schauspielbühne – zeigen, dass die systemischen Vorteile der Puppe immer häufiger wahrgenommen und dramaturgisch verwendet werden.

Etymologie der Puppe

„Puppe“ wird aus dem Lateinischen abgeleitet von „pupus“, das Neugeborene, von „pupa“ oder „pupulus“ Mädchen bzw. Junge und von „pupula“ die Pupille.
Neben der in der Zoologie auftauchenden dritten Entwicklungsstufe der Insekten, in der eine vollkommene Metamorphose stattfindet, ist die häufigste Bedeutung von Puppe die der Theaterfigur oder des Spielzeugs.

Die Puppe als Symbol

In vielen Ethnien, vor allem in den sogenannten „primitiven“, in denen der Mensch noch in die natürlichen Abläufe eingebunden ist und sich mit archaischen Kräften auseinandersetzen muss, um sie für sich einzunehmen oder ihnen entgegenzuwirken, wird die Puppe als Symbol in Ritualen verwendet.
Auch in der „aufgeklärten“ Welt spielt sie in der kindlichen Entwicklungsphase und beim Erwachsenen in existenziellen Situationen, in denen starke Kräfte – vor allem aus dem Unbewussten – das Ich bedrohen, eine Rolle.
So sollen Handlungen an einer Puppe als Analogie einen Zauber bewirken, so zum Beispiel einen Heilzauber oder andererseits Rache oder Schadenzauber durch die Verletzung oder Tötung der Puppe. Fruchtbarkeits-, Schutz-, Glücks-, Liebes- und Abwehrzauber, alle diese Handlungen werden mit Puppen oder durch Puppenrituale erzeugt.
„Die Puppe, im Gegensatz zum leiblichen Schauspieler, begegnet uns von vornherein als Gestaltung, als Bild, als Geschöpf des Geistes, der allein das Heilige vorstellen kann.“ (Max Frisch)
Die Puppe als Medium weist Besonderheiten auf.
Aus lebloser Materie als Abbild des Menschen geschaffen, ist sie nach dem kreativen Prozess der Herstellung zunächst nichts als ein unbelebter Gegenstand. Erst wenn man zu ihr eine Beziehung aufnimmt, kann man sie beleben. So gewinnt sie Bedeutung und Einmaligkeit ungeachtet ihres materiellen Wertes. Durch diesen Vorgang wird sie zum Symbol. (So wendet sich der „Symbolismus“ in seiner theatralen Ausrichtung der Marionette zu. Die Drahtpuppen werden zu Chiffren einer Entpersonalisierung. [M. Maeterlinck, O. Schlemmer, A. Jarry, O Kokoschka, G. Grosz])
Diese Bedeutung muss sie nicht allgemein haben , sondern eventuell nur zu der Person, die ihr diese gibt.
So kann sie für zwei Individuen gleichzeitig wertvoll und wertlos sein.
Zwei Beispiele sollen hieraus erwachsende Probleme erläutern: Nach der Zerstörung seiner aufblasbaren Sexpuppe durch Freunde griff der Besitzer die Täter mit einem Messer an. Das Angebot, eine neue Puppe zu bezahlen, beruhigte den Geschädigten nicht, sondern brachte ihn erst recht in Rage.
„Du sollst nicht auf meinem Kinde stehen!“, sagte die spätere rumänische Königin ganz wütend zu ihrer Patin und entführte entrüstet und liebreich tröstend ihren Fußschemel.
Der Erwachsene sagt: Das Kind nimmt den Fußschemel als seine Puppe, für das Kind jedoch ist der Fußschemel seine Puppe.
Bewusstes und Unbewusstes wirken in der Kommunikation im Medium Puppe.
Das Spiel mit der Puppe ist also eine ursprüngliche Art, sich mit der Welt und der Seele in konkret handhabbarer Form auseinander zu setzen und ein Gleichgewicht zwischen diesen zu finden.

Die Herstellung (Schöpfung) einer Puppe

Menschen werden im Mythos nicht als Säuglinge von einer Frau geboren, sondern aus Erde, Lehm, Holz, Blut, Tränen oder Speichel von einer Urperson oder Gottesgestalt geformt, die ihnen Atem einhaucht. (Die berühmtesten Beispiele sind der Golem, Fausts Homunculus oder Frankenstein. ) Dieser Akt wird beim Bau einer Puppe nachvollzogen und gibt dem Erbauer Schöpferqualität. Er ist Herr über dieses neue Wesen.
C.G. Jung schnitzte „als unbewussten kindlichen Versuch, das Geheimnis zu gestalten“ , wie er in seinen Erinnerungen beschreibt, aus einem Linealende ein ca. 6 cm großes Männchen mit „Gehrock, Zylinder und blankgewichsten Schuhen“, färbte es schwarz und verbarg es in einer Federschachtel auf dem Dachboden. Ab und an besuchte er sein „Linealmännchen“, vertraute ihm schriftliche Botschaften an und hielt es geheim. So stand es ihm in schwierigen Situationen hilfreich zur Seite. Dieser Besitz verlieh ihm Sicherheit, die davon abhängig war, dass das Geheimnis nie verraten werden durfte. Später interpretierte er sein Linealmännchen als „Kabir“, eine naturhafte Gottheit, manchmal in Zwergen- und manchmal in Riesengestalt, die mit der Entstehung des Lebens in Verbindung gebracht wird.

Das Spiel mit der Puppe

Spielt der Schöpfer danach mit diesem Wesen, beseelt er es, ist er weiterhin lenkende Instanz über alle Handlungen. Dieses Machterlebnis stärkt das Ich, kann aber im negativem Fall dazu führen, dass eine Hypertrophierung erfolgt, in der nicht mehr Inhalts- oder Publikumszentriertheit im Vordergrund steht, sondern Egozentrik. (Für diagnostische Zwecke ist ein solches Verhalten aufschlussreich und gibt Anhaltspunkte z.B. über mangelndes Selbstwertgefühl.)
Der Versuch einer Marionette, sich der Fäden zu entledigen, zeigt den Wunsch, sich aus Abhängigkeiten zu befreien und eigenständig und gleichwertig dem Schöpfer und/oder Strippenzieher zu begegnen. (Philippe Genty, Henk Boerwinkel u.a.)
Neben dem Wunsch, als Schöpfer zu agieren, steht auch der Wunsch sich von dem eigenen Schöpfer zu befreien.
Während der Spieler im Spiel mit der Puppe und sich selbst Autokommunikation betreibt, ist die Kommunikation beim Spiel mit anderen Spielern zirkulär und in einer Puppentheateraufführung eine gemäßigte Einwegkommunikation.

Der Puppenspieler

Die Aufgabe des Puppenspielers veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte – weg vom Diener höherer Mächte, die sich vorübergehend in Puppen niederließen, hin zum Unterhaltungsspiel.
„Viele Jahrhunderte lang hat das `Wunder´ bewegter Figuren auf der Bühne die Menschen fasziniert. Das Unerklärliche, Magische dieser oft nur spannenlangen Homunkuli, die über die Bühne wuseln, disputieren, sich balgen und schlagen, umgab das Puppentheater und den Gaukler mit einer geheimnisvollen Aura, die nur mit der ängstlichen Scheu primitiver Völker vor ihrem Medizinmann und dessen Zauberkünsten verglichen werden kann. Unsere Kinder empfinden sie noch heute.“ (Purschke)
Im therapeutischen Puppenspiel tauchen die Zusammenhänge zwischen Puppen und Geistern wieder auf: Aus emotionaler Sicht als Dämon oder Geist, aus rationaler Sicht als Sinnbild intrapsychischer Repräsentanz, die über eine Puppe dargestellt werden kann.
Welche Wirkung das Spiel mit Figuren und Objekten haben kann, ist einerseits durch physiologische (z.B. den Wahrnehmungsprozess) und andererseits durch psychologische Faktoren (z.B. Identifikation, Projektion und Repräsentanzen) bedingt. Dies wirkt nicht nur auf das Publikum, sondern auch auf den Spieler selbst. So werden verschiedene Seelenaspekte angesprochen, die dann erlebt werden können oder manchmal sogar ertragen werden müssen.
„Erst wenn der Animateur eine eigene Imagination auf die Figur projiziert und sie aus dieser Imagination heraus bewegt, wird der Betrachter seine eigenen Gefühle und Handlungen wiedererkennen. Das setzt beim Animateur eine Beherrschung des Werkzeugs (Figur), gewonnen aus Lebens- und Probenerfahrung, voraus. Ohne dieses Freiwerden von den technischen Problemen kann die Imagination, das innere Bild, erzeugt über das Spiel der Figur nicht fließen und also nicht beim Partner im Parkett wirksam werden. Ohne eine Imagination des Animateurs nützt aber die Form und die Werkzeugbeherrschung auch nichts. Es kann nur jener Animateur Bilder vermitteln, der selbst Bilder hat.“ (P.K. Steinmann)
Auch der nicht therapeutisch tätige Puppenspieler muss sich bewusst sein, dass sein Geschöpf im Laufe der Geschichte von den Zuschauern beseelt werden kann und er jetzt nicht nur mit seinem Geschöpf umgeht, sondern auch mit dem der Zuschauer.

Die Puppe in der Pädagogik

Im 20. Jahrhundert entdeckte die Politik und die Pädagogik das Puppenspiel für erzieherische Zwecke, und vor allem der Kasper (in anderen Ethnien Hanswurst, Punch, Guignol, Petruschka, Jan Klaasen Pickelhäring oder Mester Jakel) wurde als belehrende Figur missbraucht. Er, der früher Essen und Trinken sowie die Frauen lieben durfte, unerschrocken handelte, sich traute seine Meinung zu sagen, immer gute Laune und vor niemandem Respekt hatte und sich letztendlich mit seinem Knüppel gegen alle wendete, die sich ihm in den Weg stellten, egal ob Obrigkeit, Tod, Teufel oder Krokodil, wirkt nun als „Kasper im Schützengraben“ oder als „Verkehrskasper“ kastriert und darf höchstens noch das Krokodil verhauen.
Während im therapeutischen Rahmen Defizite in physischer und psychischer Hinsicht angegangen werden, um Störungen zu beseitigen, will die pädagogische Praxis das Kind oder auch den Erwachsenen zu einem - außerhalb der Person - definierten Ziel führen.

Die Puppe als diagnostisches Hilfsmittel

Puppenspiel ist ein methodischer Ansatz, die Puppe selbst ein Medium in einem therapeutischen Kontext, der jedoch immer einer Fundierung in Theorie und Methode eines Grundverfahrens bedarf.
Durch den Einsatz eines Szenokastens (eine Art Puppenstube mit vielen Puppen unterschiedlicher Charaktere) können Spielszenen initiiert werden, die das Kind (oder der Erwachsene) gestaltet, die aus verschiedenen Gründen (z.B. Alter, Trauma, Hemmungen, Angst) sprachlich nicht ausgedrückt werden können oder sollen. In ähnlicher Weise werden „anatomische Puppen“ (Puppen mit äußeren Geschlechtsmerkmalen) verwendet. Die beobachteten Spielszenen werden dann interpretiert. Diese Interpretationen und vor allem Über- und Fehlinterpretationen haben in der Fachwelt heftige Diskussionen ausgelöst. Insbesondere bei vermutetem Kindesmissbrauch gilt der Einsatz von anatomischen Puppen den einen als „Wunderdiagnostikum“, den anderen als „unheilvolles, da Falschaussagen provozierendes Machwerk“. Meines Erachtens liegt nicht in der Puppe und ihrer Stimulusqualität das Problem, sondern in der Angemessenheit ihrer Anwendung sowie der Fachkompetenz der Interpretatoren.

Die Puppe in der Therapie

Ab ca. 1920 wurde Puppenspiel in der Therapie verwendet.
Die Puppe eignet sich besonders gut als Hilfsobjekt zum Aufbau einer Struktur.
Sie ermöglicht Vorgänge wie Projektion, Introjektion, Identifikation und Spiegelung.
D.W. Winnicott beschreibt die Puppe als „Brücke“ zwischen intrapsychischer und äußerer Welt und bezeichnet sie als „Übergangsobjekt“.
Anmerkung: Ist das Übergangsobjekt z.B. Stellvertreter der Mutter und ihrer Brust, so ist es nicht die Brust, aber es bedeutet sie, und ein Lutschen am Übergangssobjekt kann trösten und ersetzen.
Im Lauf seiner Entwicklung entzieht das Kind dem Übergangsobjekt seine Besetzung und erobert andere Bereiche, die seiner Entwicklung angemessener sind. Die Puppe wirkt wie eine Maske, ein Schutzschild, hinter dem verdrängte Gefühle zum Ausdruck kommen und Hemmungen verloren werden können. Sie ermöglicht damit ein nach außen Transportieren innerer Repräsentanzen.
In dem russischen Märchen „Wassilissa“ erhält die Heldin von ihrer sterbenden Mutter eine Puppe: „Wassilissa, mein Liebes, ich will dir eine Puppe schenken. Wenn du in Not bist, gib ihr zu Essen und sie wird dir helfen.“ Sie kommt auch bald in Not und in der lebensgefährlichen Begegnung mit der Hexe Baba Jaga hilft ihr die Puppe, allen Gefahren zu entgehen. Nach und nach wachsen Wassilissa alle übernatürlichen Kräfte der Puppe zu und sie benötigt als reife Frau die Hilfe der Puppe nicht mehr.
Symbolfiguren wie Hexe, Zauberer, Tod, Teufel, Drache und Räuber auf der einen Seite und Engel, König, Königin und Kasper auf der anderen Seite geben Aufschluss über psychodynamische Konstellationen.
Die Seitentypologie (linke und rechte Hemisphäre) bewirkt, wie C.G. Jung in einer Untersuchung beschreibt, dass Aggressionspuppen bevorzugt mit der rechten Hand gespielt werden. (Die rechte Hand wird durch die linke Gehirnhälfte gesteuert, die für Sprache ,Logik, Rechnen, Abstraktion und Analyse – also für Sekundärprozesse - verantwortlich ist. Die rechte Gehirnhälfte steuert die linke Hand und steht für Gefühl, Geruch, Bilder, Intuition, Analogien und Gestaltbildung – also für Primärprozesse.)
Das bedeutet, dass das innerpsychische Geschehen mit Hilfe von „Hilfs-Ichs“ (hier Puppen, die verschiedene Anteile der inneren Figuren repräsentieren) nach außen transportiert und eine Lösung oder Katharsis gefunden werden kann. Durch Doppeln als alter ego (Spieler doppelt Puppe oder umgekehrt) oder Rollenwechsel sowie Interaktion einer Person mit zwei Aspekten seines Ichs mit Hilfe zweier ihm aufgesteckter Handpuppen ist dies möglich. Diese Ansätze finden im Psychodrama ihren therapeutischen Ausdruck.
Das figurative Psychodrama hat dabei gegenüber dem klassischen (mit realen Personen) den Vorteil, dass es sich nicht nur praktisch einfacher gestalten lässt – man braucht weniger oder gar keine anderen Personen –, es ermöglicht auch die Antipoden selbst zu führen. Außerdem richten aggressive Ausbrüche geringeren Schaden an. Die Darstellung von Problemen wird durch ein bereits vorhandenes Repertoire von Figuren angeregt. Auch eine Distanzierung ist leichter möglich, so dass weniger Angst und Leistungsdruck auftritt.
Auf diesen Grundlagen baut auch ein sprachtherapeutischer Ansatz mit Puppen auf.
Sofern ein Sprachfehler psychisch bedingt ist, hilft dem Klienten eine Distanzierung von sich selbst und das Hineinschlüpfen in eine andere Rolle mittels der Puppe, Hemmungen und damit Sprachstörungen abzubauen. Da unbehandelte Sprachstörungen dazu neigen, sich durch Wiederholungen zu verfestigen, kann so - neben einer Ursachenforschung der psychischen Faktoren - ein therapeutisches Konzept aussehen.
Da Puppen ein hohes kommunikatives Potential haben - sie haben stimulierende Wirkung, Aufforderungscharakter, Wirkungs- und Rückwirkungsmöglichkeiten und erlauben eine hohe Variabilität im Ausdruck -, bietet sich auch das Herstellen einer Puppe im therapeutischen Kontext an. Vor allem eine „Selbst-Puppe“, die entweder als Realpuppe oder als Symbolpuppe gestaltet werden kann, ermöglicht sowohl diagnostische als auch therapeutische Möglichkeiten.

Die Wirkung unterschiedlicher Puppen

Soll eine Theater-Puppe als Identifikationsfigur wirken, muss sie in ihrer Ausgestaltung Raum für eine Projektion eigener Anteile bieten. Karikierende Züge und eine zu differenzierte Ausgestaltung hindern eine Identifikation. (Die Anthroposophen z.B. verzichten z.T. darauf, Gesichter realistisch zu gestalten.) Je einfacher eine Figur gestaltet ist, desto früher ist sie für kleine Kinder verwendbar. Schattenfiguren – sofern sie wenig Binnenstrukturen aufweisen – lassen besonders viel Raum, persönliche Details in sie zu projizieren und eignen sich deshalb hervorragend für eine gewünschte Identifikation.
Marionetten und komplizierter zu handhabende Puppen sind eher für künstlerische Darbietungen und höhere Altersstufen geeignet, weniger für Anfänger und therapeutische Situationen. Handpuppen und einfach zu führende andere Puppen lassen sich dagegen sofort und ohne größere Vorkenntnisse einsetzen.
   Bei Mensch-Puppe-Interaktionen bestimmt die Größe der Puppe ihre Unterlegenheit/Gleichwertigkeit oder sogar Überlegenheit. Einfache selbstgestaltete Puppen sind sowohl als „Selbst-Bild-Puppe“ als auch als „Symbol-Puppe“ für den therapeutischen Einsatz unübertroffen, benötigen aber einen besonderen Kontext.

Fazit

Obwohl Puppentheater als Einstieg für Kinder in das Theaterleben bestens geeignet ist, ist es nicht darauf zu beschränken. Seine systemischen Eigenschaften wie Metaphorik, Symbolik und Antigravidität, die es in stärkerem Maße als andere theatrale Formen aufweist, reihen es als gleichwertiges Mitglied in die Theaterlandschaft ein. Eine hervorragende Bedeutung erreicht es weiterhin in Kosten-Nutzen-Relationen und dadurch, dass – wie Kleist es formulierte – alle Akteure ohne Starallüren (Puppen zieren sich niemals) und ohne „Folgehonorar“ agieren. Bau und Spiel von Puppen beinhalten ein großes Potential an sozialen, pädagogischen bis zu heilenden Aspekten. Dabei gehört ein therapeutischer Einsatz von Puppen grundsätzlich nicht in die Hand von Puppenspielern, sondern von ausgebildeten Therapeuten, für die der Einsatz von Puppen jedoch nur eines von vielen notwendigen Instrumenten sein darf.
Jeder Puppenspieler sollte sich aber bewusst sein, mit welch wirksamem Instrumentarium er bewusst oder unbewusst umgeht und dass er neben der Vermittlung von einer (möglichst guten) Geschichte Dinge anregt, die für seine Zuschauer große Bedeutung haben können.

Frieder Paasche, geb. 1946, Kommunikationswissenschaftler, Therapeut und Regisseur, war über fünfzehn Jahre an der Medizinischen Hochschule Hannover (Medizinische Psychologie) tätig, arbeitet seither in freier Praxis sowie als Dozent, Supervisor, künstlerischer Leiter und Spieler des Figurentheaters Vagantei Erhardt und künstlerischer Leiter des Hannoverschen Schattentheaterfestivals.
Veröffentlicht in : das andere theater 74 - 2010